Nur das Erinnerte, nicht das Vergessene, lässt und lernen.
Wir alle gestalten Geschichte, die Geschichte formt uns.
Suchen wir Antwort auf Geschehenes, tragen wir die Verantwortung für die Zukunft.
1938 lebten noch 125 JüdInnen und Juden in Rechnitz. Sie alle wurden von den Nationalsozialisten vertrieben und deportiert. Die meisten von ihnen wurden ermordet.
Unzählige Massaker und Verbrechen an ungarischen JüdInnen wurden 1944/45 auf dem Gebiet des heutigen Niederösterreich und des Burgenlands sowie in Ungarn und der Slowakei beim Bau des sogenannten „Südostwalls“, und bei den Todesmärschen Richtung Mauthausen verübt (1). Dieser Artikel setzt sich mit der Geschichte der Gedenkstätte in Rechnitz auseinander.
Chronologie der Ereignisse
1943
beginnt mit den schweren Niederlagen an der Ostfront der Rückzug der Deutschen Wehrmacht. (1)
1944 – Herbst
Es wird mit dem Bau des Südostwalls begonnen. Ein kompleses System von Panzergräben, Laufgräben und Schützenstellungen soll entlang der Grenz zu Ungarn, der Slowakei und Slowenien das Vorrücken der sowjetisachen Armee nach Wien und Graz verhindern.(1)
1944 – November
Am 8. November 1944 begannen die Todesmärsche der Budapester Juden nach Hegyeshalom/Straß-Sommerein. Von dort kam es zur Aufteilung der ungarisch-jüdischen Zwangsarbeiter auf die einzelnen Bauabschnitte des Südostwalls, wobei in Köszeg zwei Lager errichtet wurden. (3) Hier leisten ungarische JüdInnen unter unmenschlichen Arbeits- und Lebensbedingungen Zwangsarbeit. Insgesamt kommen 110.000 Menschen zum Einsatz, mehr als zwei Drittel davon sind keine deutschen Stattsangehörigen. (1)
1945 – März
In der Umgebung von Rechnitz wurden in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs mit der Bahn etwa 600 Zwangsarbeiter, vor allem ungarische Juden, von Kőszeg nach Burg transportiert, um bei der Errichtung des so genannten Südostwalls Hitlers eingesetzt zu werden. Etwa 200 von ihnen, die erschöpfungs- und krankheitsbedingt nicht mehr arbeiten konnten, wurden jedoch bis nach Rechnitz zurücktransportiert. (2)
Am selben Abend fand im Schloss Batthány in Rechnitz ein Fest der örtlichen NS-Parteiführer statt, insgesamt dürften etwa 40 – 50 Personen an diesem Fest teilgenommen haben. Während des Festes stellte der Ortsgruppenleiter Podezin ein Erschießungskommando von 14 bis 15 Personen aus dem Kreis der Festgäste zusammen und verteilte die erforderliche Munition, um die beim Kreuzstadl lagernden Juden zu liquidieren. Nach dem Massenmord kehrten die Täter zu den Festgästen zurück. Eine Gruppe von 30 bis 40 weiteren jüdischen Zwangsarbeitern musste die Leichen begraben. Am darauffolgenden Abend wurden diese Zwangsarbeiter, das „Zuschauflerkommando“, in der Nähe des Schlachthauses erschossen. (3)
1948
Am 28. Juni wird im großen Schwurgerichtssaal des LandesgerichtesWien unter dem Vositz des Oberlandesgerichtsrates Dr. Clemens Pausinger der Mordprozess eingeleitet. Bei diesem Prozess wurden Josef Muralter, Unterabschnittsleiter beim Ostwall-Bau, und Ludwig Groll, der Oberbürgermeister von Oberwart, zu Haftstrafen von fünf beziehungsweise acht Jahren verurteilt. Beide hatten nachweislich geschossen. Aber sie waren schnell wieder zu Hause. ÖVP und SPÖ setzten sich gleichermaßen für ihre Begnadigung ein. (4)
Freies Burgenland schreibt am 2.7. 1948 – Gräfliches Tanzfest mit Massenmord
Die Rechnitzer Judenmörder auf der Anklagebank
Am 24. März 1945, dem Vorabend des Palmsonntags, luden ihre Hochgeboren „Graf und Gräfin“ Batthyány die Nazibonzen des Bezirkes Oberwart auf ihr Schloss in Rechnitz zu einem Tanzfest ein. Gegen 23 Uhr wurde dem Kreisleiter Podezin gemeldet, dass die SS tausend ungarische Juden, die zur Arbeit am Südostwall aus Köszeg gebracht worden waren, wegen Krankheit zurückgesendet hatte.
Podezin ließ durch seine Geliebte und Sekretärin Hilde Stadler zehn der verlässlichsten
Mordgesellen aus dem Tanzsaal holen, erklärte, dass die Juden krank seien und als unnütze Fresser liquidiert werden müssten, und verteilte Waffen und Munition. Die Gruppe fuhr mit einem Lastauto zu einer Waldlichtung, zu der man die kranken Juden getrieben hatte. Etwa vierzig Juden, die mehr bei Kräften waren, mussten ein Massengrab schaufeln. Dann wurde den Unglücklichen befohlen, die Kleider auszuziehen.
Nackt mussten sie sich an den Rand des Grabes setzen, wo sie durch Genickschüsse getötet wurden. Nach vollbrachter Tat kehrten die Mörder in das „gräfliche“ Schloss zurück, wo sie weiterzechten und tanzten. Das „gräfliche“ Paar amüsierte sich mit den Mördern bis zum Morgengrauen.
1948 – Oktober – Zur Person Eduard Nicka:
Am 1. Oktober 1948 wurde Nicka bezüglich §§ 10, 11 VG gemäß § 259/3 StPO einhellig schuldig gesprochen. In der Urteilsbegründung gegen Nicka, der zu drei Jahren schweren Kerkers und Vermögensverfall verurteilt wurde , stellte das Gericht fest, „dass Nicka als besonders verlässlicher und vertrauenswürdiger Nationalsozialist in den Kreisen der illegalen Parteigenossen gegolten habe“. Die Verantwortung von Nicka, daß eine Ernennung, die nach dem Organisationsstatut nur von Adolf Hitler selbst hätte erfolgen können, niemals vorgenommen worden sei, war laut Urteilsschrift nicht zu widerlegen.“ Weiters heißt es:
„Es steht somit fest, dass Nicka Illegaler ist, dass er der SA mit dem Rang eines Obersturmbannführers angehörte und dass er zumindest von 1938 bis zum Zusammenbruch mit der oben erwähnten zweijährigen Unterbrechung eine Funktion ausgeübt hat, die der eines Ortsgruppenleiters übergeordnet war.(5)
1956 – September
Am 25. September 1956 stellte Eduard Nicka Antrag auf Erstattung des im Urteilsspruch für verfallen erklärten Vermögens, welchem am 25. November 1956 stattgegeben wurde. Am 26. Juli 1957 wurde gemäß § 14 der NS-Amnestie 1957 der noch nicht vollstreckte Strafrest zur Gänze nachgesehen, gemäß § 15 NS-Amnestie 1957 die noch nicht bezahlten Kosten des Strafverfahrens und des Strafvollzuges nachgelassen und die Verurteilung gemäß § 15 (1) Absatz 2 NS-Amnestie 1957 getilgt. Von 5.1.1958 bis 31.8.1958 war Nicka schließlich Landesparteiobmann der FPÖ Burgenland. Welch großes Ansehen Eduard Nicka in Oberwart selbst noch im Jahre 1971 hatte, beweist ein Artikel der Lokalzeitung „Oberwarter Zeitung“ zum 60. Geburtstag von Nicka , in welchem allzuviel Verständnis für den „Kreisleiter a. D.“ gezeigt wird. (5)
1993
Am 14. November 1993 wird das Mahnmal „Kreuzstradl“ im Rahmen einer Gedenkfeier an den Bundesverband der Israelitischen Kultusgemeinden übergeben.
1994
Der viel beachtete Dokumentarfilm „Totschweigen“ (1994) von Margarete
Heinrich und Eduard Erne, der sich mit der Suche nach dem Massengrab und
dem Beschweigen des Massakers auseinandersetzte, tat ein weiteres, um das
Geschehen vom Palmsonntag 1945 nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.
2007
enthüllt die Israelitische Gemeinde Zalaegerszeg eine Gedenktafel am Kreuzstadl.
2010
Süddeutsche Zeitung – Das Grauen von Rechnitz
Rechnitz – Der Würgeengel eine Aufzeichnung aus dem Theater Akzent
2012
Genau 67 Jahre später wurde am Sonntag das Kreuzstadlmuseum im Beisein von Bundespräsident Heinz Fischer und Oberrabbiner Paul Chaim Eisenberg von der Rechnitzer Flüchtlings- und Gedenkinitiative und Stiftung RE.F.U.G.I.U.S. mit rund 400 Gästen eröffnet. Ein Artikel im Standard
2016
Rechnitz: Neue Details zum NS-Massenmord im Burgenland – ein Artikel im Profil – Die Milliardärin Margit Batthyany-Thyssen spielte bei der Ermordung von 180 Juden im burgenländischen Rechnitz im März 1945 eine Schlüsselrolle. Ihr Großneffe enthüllt in einem neuen Buch düstere Familiengeheimnisse.
Gedenkinitiative REFUGIUS feiert 25-jähriges Bestehen – Artikel im Kurier am 15. Oktober 2016
Am Sonntag, 16. Oktober, findet in der Neuen Mittelschule Rechnitz eine Lesung statt. Lutz Elija Popper präsentiert – musikalisch begleitet von Paul Gulda (der im Verein aktiv ist) am Klavier – die zweite überarbeitete Auflage des von ihm herausgegebenen Briefwechsels seiner Eltern „Briefe aus einer versinkenden Welt 1938/1939“.
Quellenverzeichnis:
(1) Ausstellung Kreuzstadl in Rechnitz.
(2) Wikipedia – das Massaker von Rechnitz
(3) Homepage zum Mahnmal Kreuzstadl
(4) Hamburger Abendblatt vom 5.11.2007
(5) www.nachkriegsjustiz.at
Die Fotos stammen alle von der heutigen Gedenkstätte in Rechnitz. Aufgenommen von Brigitte & Werner Drizhal.